21 Nov 2022

People of Livigno: Epi Bormolini

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Foto di Epi Bormolini di Livigno, con un paio di scarponi da montagna in mano.
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Sportler aus Leidenschaft, Schmuggler aus Notwendigkeit, Bergführer aus Berufung: Die einzigen Konstanten sind seine Liebe zu den Bergen und zu Livigno.

 

Epi Bormolini ist 66 Jahre alt, hat aber schon mindestens fünf Leben gelebt: Er war Sportler aus Leidenschaft, Schmuggler aus Notwendigkeit, Bergführer aus Berufung und Politiker aus Erfahrung. Und dann Sohn, Vater, Ehemann, Opa. Die einzigen Dinge, die in seinem Leben immer gleich geblieben sind, sind seine Liebe zu den Bergen und zu Livigno. Er hat die rauen Hände eines Menschen, der im Kontakt mit der Natur gelebt hat, helle Augen, eine von der Bergsonne gebräunte Haut und einen Schnurrbart aus anderen Zeiten. "Mein Vater wollte mich auf dem Meldeamt mit dem Namen Epi eintragen lassen, es war jedoch undenkbar, dass ein Kind nicht den Namen eines Heiligen trägt, und so gab er nach und nannte mich Giuseppe. Als ich als Bergführer anfing, waren wir zu dritt und hießen alle Giuseppe. Wenn man dann noch bedenkt, dass die Hälfte der Einwohner von Livigno den gleichen Nachnamen hat, kann man verstehen, warum ich für alle immer der Epi war." 

 

Foto di Epi Bormolini di Livigno

 

 

Was ist Ihre schönste Kindheitserinnerung hier in Livigno?

Als ich das erste Mal mit 6 Jahren auf Skiern stand. Sie waren aus Holz, wunderschön, mein Onkel hatte sie mir aus der Schweiz mitgebracht. Und sie waren ausschließlich für den Langlauf, denn für meinen Vater war das der beste Sport für ein Kind: Man erhält Stabilität und findet sein körperliches Gleichgewicht. Ich wollte ihn stolz machen, also verließ ich das Haus, um zu trainieren und spurte die Loipe selbst, in der Hoffnung, dass es nicht schneite, sonst hätte ich wieder von vorne anfangen müssen! Damals gab es noch keine Skiclubs! Und dann erinnere ich mich an mein erstes Rennen, die italienischen Meisterschaften in Tarvisio, ich war 14 Jahre alt: Ich wurde Elfter, aber für meinen Vater war es ein Triumph und ich war überglücklich.

 

War er ein Sportler?

Nein, er hatte das Skifahren hauptsächlich aus der Not heraus gelernt... Machen wir einen Zeitsprung in die Vergangenheit, am Ende des 19. Jahrhunderts bis Anfang der 60er Jahre, als das Leben vor allem von der Armut des vergangenen Jahrhunderts geprägt war, war der Schmuggel in dieser Gegend besonders weit verbreitet, und auch mein Vater musste manchmal „schultern“. Er gehörte zu den Männern, die auf Skiern an der Grenze ankamen und eine sogenannte Bricolla, einen großen geflochtenen Strohrucksack mit einem Gewicht von bis zu 30 kg, voll mit Kaffee oder Zigaretten trugen. Die „Spalloni“ (die „Schulterer“) liefen auf steilen und gefährlichen Pfaden, um die offiziellen Routen zu umgehen, die von der italienischen Finanzfandung oder den Grenzschützern patrouilliert wurden. Es war verboten, es war gefährlich, aber es war eine Notwendigkeit. Ich selbst musste im Alter von 18 Jahren meinen Traum, Sportler zu werden, aufgeben, um Geld nach Hause zu bringen, und ich leugne nicht, dass auch ich ab und zu ein „Schmuggler“ war. Man machte sich nachts auf den Weg, musste den Berg genau kennen, den Sack an der vereinbarten Stelle abladen und bekam, wenn alles gut ging, 5.000 Lire.
 

 

Was bedeutet es, in einem Grenzgebiet und insbesondere in einem Grenzgebirge zu leben?

Es bedeutet, sich immer um die Nachbarn zu kümmern, sich ständig auszutauschen und die eigene Identität zu bewahren. Die Gemeinde Livignasca hat es geschafft, sich der Welt zu öffnen und dabei sich selbst treu zu bleiben, sich zu schützen, und gleichzeitig wird sie durch die Berge abgeschottet, es ist die Konformation dieser Gegend, die ihre Geschichte geprägt hat. Ein von Bergen umgebenes Hochplateau im Herzen der Rätischen Alpen, nur einen Steinwurf von der Schweizer Grenze entfernt. Der Bergsteiger und Journalist Alfredo Martinelli nannte diese Gegend „Klein-Tibet“, als er zum ersten Mal hierher kam, und dieser Name ist ihm geblieben.

 

Was macht die Berge von Livigno so einzigartig?

Das Dorf liegt auf 1800 Metern, unsere Berge sind nicht zum Klettern, sondern zum Spazierengehen und Wandern geeignet. Die Vegetation reicht bis in große Höhen: Lärchen, Zirbelkiefern, Latschenkiefern und Fichten sind unsere charakteristischen Bäume, die im Winter märchenhaft aussehen und sich im Herbst in ein einzigartiges Farbspiel verwandeln. Im Sommer, wenn alles blüht, ist es einfach spektakulär hier.
Haben Sie nach Ihrem 18. Lebensjahr Ihren Traum, Sportler zu werden, für immer aufgegeben?

 

Foto delle montagne innevate di Livigno

Lebensjahr Ihren Traum, Sportler zu werden, für immer aufgegeben?

Ich habe ihn verwandelt, indem ich zuerst Skilanglauftrainer und dann Bergführer wurde. Ich war einer der Gründer des Sci Club Livigno, und die Erfolge meiner Athleten bei den Rennen zu sehen, war das Größte für mich. Dann nahm ich sie mit in die Berge auf Entdeckungstour. Wenn einem ein Kind oder Jugendlicher anvertraut wird, geht es nicht nur um den Sport. Ich habe immer versucht, ihnen auch abseits der Rennstrecke nützliche Tipps und Informationen fürs Leben mitzugeben. Das sollte meiner Meinung nach die Aufgabe eines Trainers sein.

 

Was haben Sie nach einem Leben in den Bergen gelernt?

Die Berge faszinieren mich immer wieder aufs Neue. Jedes Mal sind sie anders als beim vorherigen Mal. Ich habe verstanden, dass das Schlüsselwort für ein Leben in Harmonie mit dem Berg Respekt ist. Als Bergführer habe ich gelernt, dass es der Mensch ist, der sich der Natur anpasst und nicht umgekehrt. Einmal hatte ich zwei Touristen auf den Piz Palù im Kanton Graubünden auf 3900 Meter geführt, als plötzlich ein Schneesturm einsetzte. Das Wetter hatte sich plötzlich verschlechtert, ein Sturm zog auf, und es war absolut notwendig, schnell ins Tal zu kommen. Das Paar geriet jedoch in Panik und wollte sich nicht bewegen. Ihre Sicherheit war gefährdet. Ich war gezwungen, sie zu ohrfeigen, um sie aus der Panikattacke „aufzuwecken“ und zum Abstieg zu bewegen. Als wird dann im Tal angekommen waren, umarmten sie mich und dankten mir. Man muss nicht den Gipfel erreichen, aber nach Hause zurückzukehren, das ist ein Muss.

 

Wie können wir die Traditionen dieses Gebiets in einer sich schnell verändernden Welt bewahren?

Es liegt in unserer Verantwortung, Traditionen an künftige Generationen weiterzugeben. Ich habe gerade eine Enkelin bekommen, sie heißt Mia und ist das schönste Geschenk, das mir das Leben machen konnte, nachdem der Krebs mir meine Frau genommen hat. Ich kann es kaum erwarten, Mia das Skifahren beizubringen. Ich werde sie die Namen der Blumen und Heilpflanzen lehren, ihr zeigen, wie man Prellungen mit Arnika und Magenschmerzen mit Latschenkiefer-Extrakt behandelt, den sie in unseren Bergen finden wird. Und dann werde ich mit ihr zu den Olympischen Spielen hier in Livigno gehen.

 

Wohin würden Sie einen Touristen bringen, der 2026 zum ersten Mal nach Livigno kommt?

Zuerst würde ich in das Museum in Livigno gehen, um ihm unsere Geschichte näher zu bringen. Dann würde ich ihn hoch auf den Berg bringen, um ihm die Möglichkeit zu geben, ein 360°-Panorama zu genießen, und schließlich zum Abendessen! Ich würde ihn lokale Speisen probieren lassen, die nur wenige Menschen kennen. Einst war die wichtigste Kulturpflanze hier die Rübe, denn auf 1800 m Höhe hielten Kartoffeln, Buchweizen oder Roggen nicht durch. Daraus entstanden alte Rezepte wie das Pan de Carcent, ein typisches Brot aus Livigno, bei dem gehackte Rüben mit Mehl vermischt wurden, vor allem aber li lughénia da pàsola, eine „arme“ Wurst aus Rüben. Heute sind sie eine viel wertvollere Delikatesse als Bresaola und fast nicht mehr zu finden. Aber alle Touristen des Jahres 2026 sind in guten Händen, ich werde dafür sorgen, dass sie eine Kostprobe erhalten!

 

Foto di Epi Bormolini di Livigno, con un paio di scarponi da montagna in mano.
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